Ey Bayern, checkt das: Tanke bleibt !

14.06.2012

Ein Lehrstück über den Kampf gegen die Gentrifizierung aus dem Hamburger Stadtteil St.Pauli.
Von Ted Gaier, Hamburg

Dies ist die Langversion eines Artikels von Ted Gaier, der im Juni 2012 in der WOZ erschienen ist. Den WOZ-Artikel findet ihr hier: WOZ: Die Muppets sind erfolgreich renitent


In quasi allen erfolgreichen Kinderfilmen der letzten Jahre geht es um Gentrifizierung.

Ob bei Shrek, Madagaskar oder den Muppets. Immer drängt eine böser, geldgieriger Investor in ein sympathisch heterogenes soziales Milieu. Den Identifikationsfiguren droht die Vertreibung. Der Kampf Gut gegen Böse beginnt und am Ende siegen Werte wie Freundschaft, Solidarität und Diversität über die Logik des Geldes. Der Investor wird vertrieben.

Das Paradox, dass diese Filme eigentlich immer von den verkommensten Cooperations unter die Leute gebracht werden, will ich hier mal vernachlässigen. Ein Paradox mit dem wir StadtteilaktivistInnen uns rumzuschlagen haben ist der Fakt, dass auch wenn ein allgemeiner Konsens über den Charme, oder die Einzigartigkeit eines gewissen Stadtteils besteht, es nichts nutzt. Was geliebt wird muss weichen, wenn Investoren erstmal ein Auge auf diesen Ort geworfen haben. Das Wesen des Kapitalismus ist es nunmal keine Ruhe geben zu können ehe nicht alles sein Anlitz angenommen hat. Soweit so bekannt.

Komischerweise hatten wir in Hamburg St Pauli das Unheil nicht kommen sehen. Wir hatten uns in einer falschen Sicherheit gewähnt. St Pauli als ein Ort dessen Anziehungskraft im Ungehämmt-die-Sau-Rauslassen-Können besteht, erschien uns nicht gerade als erste Wahl für eine biolandenorientierte Neo Bourgeoisie oder für Leute die nach einem repräsentativen Firmensitz suchen. Ausserdem bestand durch das Prostitutionsbusiness ein Herrschaftssystem das parallel zu den legalen Verwaltungsstrukturen das Territorium organisierte. So kann man sich täuschen. In wenigen Jahren entstanden hier dubaieske Wow Bauten. Seit kurzem wohne ich zu Füssen der „Tanzenden Türme“ unweit des „Empire Riverside“ Hotels am „Brauhausquartier“, was eine Reminiszenz sein soll an die früher hier befindliche Astra Brauerei. Heute ein Areal mit Gated Community Anmutung, ohne ein einziges Graffiti.

Während vor kurzem das Leben an der Reeperbahn gegen halb zehn gemächlich in Gang kam, beginnt nun der Kampf um die Parkplätze unter den Minifahrern kurz nach Sonnenaufgang.
Mittendrin, am Spielbudenplatz, dem oberen Teil der Reeperbahn, liegen die sogenannten Essohäuser. Das Gebäudeensemble, 1960 fertiggestellt, ist ein vielseitig genutzter Komplex. Es besteht aus einem einstöckigen Gewerberiegel der gegenwärtig 3 Musik Clubs, mehrere Kneipen, einen Sex Shop, einen Western Store und ein günstiges Hotel beherbergt, sowie zwei siebenstöckige Hochhäuser mit insgesamt 107 Wohnungen. Der Utopie von Urbanität jener Zeit folgend, in der das Auto sozusagen mit zur Familie gehört, befinden sich hier ausserdem die berühmte Kult Tankstelle, die drittälteste Waschstrasse Deutschlands und ein weiträumiger Tiefgaragenkomplex.

Gebaut ist das Ganze als moderner Skelettbau im Geiste des aufgelockerten Bauens, das die Zäsur des Krieges eben nicht vergessen machen, und der jungen BRD ganz bewusst ein neues Gesicht und neue Proportionen geben sollte.

Zugegeben all das stellt sich dem Betrachter nicht sofort dar. Seit Jahren sind keine Instandsetzungsarbeiten mehr an den Gebäuden gemacht worden. Die immobilien- wirtschaftsfreundlichen Presse hat leichtes Spiel das Ensemble immer wieder als Schandfleck zu brandmarken.

Trotzdem ist das Gebäude komplett ausgelastet und rentabel. Im Live Club Molotov haben in den letzten 20 Jahren mehrere Generationen der relevantesten Indie Band der Welt gespielt und der Planet Pauli Club, platzt bei den wochenendlichen Partys aus allen Nähten. Die Tanke ist durch diverse TV- Dokumentationen mittlerweile zu dem Aushängeschild für den den rauen, egalitären Charme des Schmelztiegels Reeperbahn geworden. Sie ist Dreh und Angelpunkt jeder Kiezführung.

Anderswo würden Stadtmarketingtypen einen solchen Ort heilig sprechen.
An manchen Tagen müssen sie hier Türsteher engagieren um dem Ansturm an partylustigen Kiezgängern gerecht zu werden. Viele decken sich hier mit günstigem Sprit ein um auf der Straße am pulsierenden Nachleben zu partizipieren. Sei es weil sie sich die Clubs nicht leisten können, sei es weil ihnen wegen zu migrantischem Aussehens der Zugang zu den Clubs verwährt wird.
Die Waschstrasse ist für ihren Service berühmt. Zu den Stammkunden zählen traditionell Halbweltgrößen, Fernsehstars und andere Angeber mit protzigen Karossen.

Und in den Häusern selbst findet sich genau jene bunte Mischung an Bewohnerschaft, die von der Hamburg Marketing im Zusammenhang mit dem kulturell diversen St Pauli immer behauptet wird.

Den Alt-KiezianernInnen (manche leben hier in der dritten Generation) und neu Zugezogenen muss man nichts erzählen von der Stadt der kurzen Wege oder ähnlichen Slogans irgendwelcher neunmalkluger Stadtvermarkter. Urbanität = komprimierte Unterschiedlichkeit ist hier Alltag. Ausserdem wissen sie sehr gut warum sie gerne, in genau diesen Wohnungen wohnen. Manche schätzen den klassisch modernen Vintagestyle der 60er Jahre. Andere die Tatsache, dass sie ihre vier Wände über Jahrzehnte in Eigenleistung nach ihren Wünschen gestaltet haben.

Eine Ursache für die Verdrängung auf ST Pauli ist auch, dass viele günstige Wohnungen in den letzten Jahren renoviert wurden ohne dass wir gefragt worden wären ob wir dieses Aufmotzen überhaupt wollten. Bescheidener Standart, billige Miete schien uns ein OKer Deal.
Viele sind schon weggezogen wegen dieser angehobenen Standards und der Unmöglichkeit die Miete weiterhin aufbringen zu können.

Oder weil bestimmte Lebensformen wie z.B. große WGs oder das Model Großfamilie durch die Verkleinerung vieler Wohnungen gar nicht mehr möglich sind.

Wie im letzten Muppets Film beginnt die eigentliche Geschichte mit dem Verkauf dieser Immobilie im Mai 2009. Der Käufer ist die Bayerische Hausbau aus München. Ihr Slogan lautet: Werte schaffen die bleiben. Wenn man ihr glauben schenken will, hatten sie in Vorgesprächen die Sache mit der Politik im Groben ausgedealt, lange bevor die Öffentlichkeit wusste wer das Gelände gekauft hatte. Nach Abriss und Neubau sollte es einen Mix aus Eigentums, frei finanzierten und Sozialwohnungen geben. Während die Bayerische Hausbau 50 % Eigentumswohnungen rausschlagen will und 25 % Sozialwohnungen bietet, verlangen SPD Politiker eine 1/3 Lösung der jeweiligen Wohnungskathegorien, sowie ein Rückkehrrecht für die jetzigen BewohnerInnen.

Einig waren sich Lokalpolitiker und Premiuminvestor in ihrer bevormundenden Einschätzung dass es sich bei derartigen Häusern um Bausünden handelt, ein Leben in solchen Häusern unwürdig ist, und ein Neubau eine Wohltat für alle sein könnte.

Die Tatsache, dass sich die gewachsene soziale Struktur und z.B. der Begriff davon was öffentlicher und privater Raum ist, durch einen Wohnblock mit zahlungskräftiger Klientel elementar ändern wird, wird stets kleingeredet. Wer solche Bedenken anmeldet, dem wird stets eine kleinliche Angst vor dem Neuen unterstellt.

Tatsächlich befand sich der Kiez immer in permanenter Veränderung. Das ist eine Binsenweisheit und war bisher für die Wenigsten von uns ein Problem. Aber es gibt einen Unterschied zwischen den Leuten die hier auf Basis dessen was sie vorfinden Geschäftsideen und Leidenschaften entwickeln, Räume umdeuten, sich neu aneignen, ihre Nische suchen - und einem Investor der einen Häuserblock kauft und dann mal schaut wie viel Profit er aus der Fläche rausschlagen kann, scheißegal wie der Ort codiert ist.

Eine Lobby für den Erhalt der Nachkriegsarchitektur gibt es in Hamburg sowieso nicht. Was will man auch erwarten von dieser Kaufmannsstadt, die z.B. im 19 Jahrhundert ihren frühgotischen Dom abgerissen hat und in den 70er Jahren des 20 Jhr. den neoromanischen Gründerzeit Bahnhof in Altona.

Im November 2010 will sie sich die Bayerische Hausbau im Festsaal des FC St Pauli Stadions endlich bei einem „Planungsworkshop“ den direkt Betroffenen und dem Stadtteil präsentieren.
Der leicht durchschaubare Anbiederungsversuch einen stadtbekannten Mediatoren zuvor mit einem FC St. Pauli Schal durch die Häuser zu schicken, war schon mal kein so guter Start.
Bei der Veranstaltung selber gibt es gleich zu Beginn die ersten Lacher für die Aussage, die Bayerische Hausbau wäre ja genauso wie der Tankstellenbetreiber und Vorbesitzer Schütze ein Familienunternehmen, dem eine gute Nachbarschaft am Herzen läge. Keine schlechte Familie, bei einem eingetragenen Immobilienvermögen von 2,6 Milliarden Euro. Mit prestigeträchtigen Großprojekten z.B. bei Stuttgart 21, plus dem Besitz mehrerer großer Brauereien und einer Flugzeugleasingfirma.

Es schlägt die Stunde der Muppets. Im Stil einer aufmüpfigen, schlecht gelaunten Schulklasse
wird die wohlgeplante Dramaturgie dieser Einlullveranstaltung durcheinander gewirbelt.
Die rhetorische Vielfalt der Wortmeldung ist beeindruckend. Die Palette reicht von prolliger Beschimpfung über Empörter Bürger-Haltung bis zu feinen ironischen Spitzen und fundiertem städtebaulichem Fachjargon.

Nach fast 2 Stunden turbulenten Streits in dem die Vertreter der Hausbau gebehtsmühlenartig von der Alternativlosigkeit eines Abrisses sprechen, gibt es dann plötzlich ein abruptes Umschwenken des um Contenance bemühten Hausbau Chefs Büllesbach. Mit echtem oder gespielten Erstaunen sagte der Mann: „Da die Bewohner offensichtlich sehr stark an der gewachsenen Bebauung hängen prüfen wir ob eine Sanierung mit zusätzlicher Bebauung als Alternative zu einem Neubau wirtschaftlich darstellbar sei“.

Das war der erste Auftritt der kurz zuvor formierten „Initiative Esso Häuser - wir sind kein Objekt“, die aus BewohnerInnen, Gewerbetreibenden, AnwohnerInnen und GemeinwesenarbeiterInnen besteht.

Seit dem Jahr 2009 war das Fass auch anderswo in Hamburg zum Überlaufen gekommen. In einer rasanten Abfolge von Ereignissen manifestierte sich an den unterschiedlichsten Orten und auf verschiedenen Ebenen der Widerstand gegen die von stupidem Kaufmannsgeist getragene Politik der ersten Schwarz-grünen Koalition Deutschlands. Vor allem das Dogma öffentliche Flächen vorzugsweise an den Höchstbietenden zu verscherbeln hatte den Verdrängungsdruck überall in Hamburg verschärft. Die Besetzung des Gängeviertels, wo es KünstlerInnen und Kulturschaffenden gelang ein Areal mit uralten Fachwerkhäusern vor dem Abriss durch einen niederländischen Investors zu bewahren, war dabei die spektakulärste Aktion. Das Recht auf Stadt Netzwerk begann schlagartig zu wachsen und seine Erfahrungen auszutauschen. Mittlerweile wird es von an die 50 Initiativen getragen.

Im Konflikt um die Esso Häuser begann die Phase des diplomatischen Eiertanzes. Im Wissen, dass sie auf das Wohlwollen der BewohnerInnen angewiesen sind, gaben sich die Leute von der BH beim ersten Treffen menschlich. Der Projektleiter mimte Verständnis für unserer aus seiner Sicht wahrscheinlich total versponnen Vorschläge. Wir hatten in der Ini nämlich eine Wuschproduktion durchgeführt. Während angestammte BewohnerInnen z.B. fanden die Grünfläche zwischen den beiden Häusern ließe sich gut in Schrebergartenparzellen aufteilen, gab es von Politaktivistinnen eher Vorschläge wie einen Sex Shop für Frauen oder die Aufstockung der Gebäude mit Lofts für Harz IV Empfänger. Unser Angebot eine Zubebauung mitzutragen wurde freundlich zur Kenntnis genommen.

Beim nächsten Mal erschienen sie dann mit ernsten Mienen: zwei Gutachten würden leider, leider belegen, dass ein Erhalt wirtschaftlich nicht sinnvoll sei. Außerdem würde Sanierung bedeuten, dass die Bewohnerschaft für einen längeren Zeitraum umsiedeln müsste und da wäre es doch besser gleich was hübsches Neues zu bauen.

Auf welcher Basis die Wirtschaftlichkeit berechnet wird, bleibt bis heute das Geheimnis der BH. Wir wissen noch nichtmal wie viel die Bayern für das Gelände eigentlich gezahlt haben.

Die Zeit schien reif um die Medienkarte zu ziehen. Das Resultat der Pressekonferenz im Planet Pauli Pub im Juni 2011 waren große Artikel in sämtlichen Hamburger Zeitungen. Der Tenor war: „Bewohner der Esso Häuser sagen -Wir lassen uns nicht vertreiben“. Dazu Bilder von den Betroffenen, die allesamt zum ersten Mal in ihrem Leben politisch aktiv sind. z.B. von Evi der 65 Jährigen Kiez Klofrau mit Totenkopf Shirt und geballter Faust (sie wohnt mit ihrem 10 Jährigen Enkel in den Häusern) oder von Julia, Oxana und Nabila, drei stylesicheren jungen Psychologiestudentinnen mit ukrainisch bzw. afghanischem Background.

Ausserdem initiierte der windige Lokalreporter von Springers Abendblatt, das paradoxerweise die Recht auf Stadt Bewegung von Beginn an supported, auf eingene Faust einen „Aufschrei Hamburger Kulturschaffender“. Erst veröffentlichte er ein Interview was er mit mir gemacht zu haben meinte und ließ mich frei erfunden zu einer Kunstaktion aufrufen mit der die Reeperbahn blockiert werden sollte ( gute Idee eigentlich, nur nicht von mir ), dann sammelte er Statements von Prominenten wie Udo Lindenberg, die sich mit Sätzen wie: „ Sie zerkloppen Stein für Stein unserer alte Heimat für die aufgeblasenen Schicki-Micki-Vampire“ reflexhaft solidarisierten.
Worte wie Heimat oder pauschale Yuppie Vorwürfe versuchen wir eigentlich immer zu vermeiden, aber egal. Es war gelungen die weichenstellende Bedeutung dieses Grundstücks ins öffentliche Bewusstsein zu rufen.

Was folgte waren zwei von uns einberufene runde Tische. Sie zeigten wie wenig die BH vom diesem Ort versteht. Erster Fauxpas: das Bekanntwerden einer Mietaufhebungsvereinbarung, die die BH vorbereitete. Der Entwurf enthielt entgegen der öffentlichen Verkündigung kein einklagbares Rückkehrrecht zu gleichen Konditionen. Die Bezirkspolitiker, von deren Votum ein Neubau abhängt, waren nicht amused. Der zweite runde Tisch endete mit dem Ergebnis, dass ein gemeinsam in Auftrag zu gebendes Gutachten technische Fragen klären und verschiedene Szenerien durchspielen soll. Am 7. Februar 2012 erklärte die BH den runden Tisch einseitig für beendet. In einer Pressekonferenz verkündete sie in Verkennung der politischen Stimmungslage den Abriss und zog unsere Legitimität und Verhandlungsbereitschaft in Zweifel. „Bild“ titelte: „Endlich: St Pauli-Schandfleck kommt weg.“ Die düpierten PolitikerInnen schalteten auf stur und verwiesen darauf, dass es eine Änderung des Bebauungs Plans nur bei einer Einigung mit MieterInnen und dem Stadtteil gibt. In einer Berzirksversammlungsitzung, die eine große Zahl von Recht auf Stadt-AktivistInnen nach einer Weisbierverschüttungsaktion vor der Bayerischen Hausbau Vertretung aufsuchten, hörten wir mit Erstaunen, dass sogar eine FDP Abgeordnete davon sprach wie ungeeignet die BH als Investor für St. Pauli sei.

Der Versuch der BH den Dialog mit den MieterInnen ohne die Ini anzuleiern kommt seither nicht richtig in Gang. Unlängst sollte dafür wieder der Festsaal des FC St.Pauli gemietet werden, doch auf Druck der Fans wurden sie kurzfristig ausgeladen. Corny Littman, der Pate vom Spielbudenplatz, sprang zwar als Gastgeber in die Bresche, doch in der Veranstaltung hatten die Muppets wieder die Oberhand mit ihrer nervtötenden Renitenz. Der andere Teil der Ini, dem der Einlass verwahrt worden war, feierte vor dem Eingang eine blauweiße Gaudi mit ohrenbetäubender Blasmusik.

Mittlerweile hat die Ini Unterschriften von 2/3 der Mieterschaft gegen den Abriss. Es könnte so kommen wie einer der Erst-Bewohner erwähntem Mediatoren gleich zu Beginn sagte: „Ihr kriegt mich hier nur im Sarg raus“.