Von Vorfreude und noch vorhandenen Stolpersteinen

Pressemitteilung der Initiative Esso-Häuser zur heutigen Präsentation der Verhandlungsergebnisse

08.05.2018

 

Als kurz vor Weihnachten 2013 die Wohnungs- und Gewerbemieter*innen aus den Esso- Häusern zwangsevakuiert wurden, war die Wut auf St. Pauli groß: „Kaputtbesitzen darf nicht belohnt werden!“ – so lautete die Meinung vieler Mieter*innen, Nachbar*innen und Stadtteil-Aktivist*innen. Vier Jahre lang war da bereits gegen den Abriss der Häuser und die dort vorgesehene Neubebauung gekämpft worden. Wohnungen im Drittelmix – also auch 30% Eigentumswohnungen – sollten dort entstehen sowie teure Gewerbeflächen.
Demonstrationen mit tausenden Teilnehmer*innen trugen laut die Forderung nach einer demokratischen Stadtentwicklung auf die Straße, und in Stadtteilversammlungen wurde das Recht auf echte Mitbestimmung bei der Neu-Planung des Areals eingefordert. Und es zeigte sich: Widerstand lohnt sich! Lokale Expert*innen aus den Feldern Kunst, Architektur, Urbanistik, sozialer Stadtteilarbeit, Musik und Kulturwissenschaft gründeten das Planungsbüro PlanBude und sammelten in einem einzigartigen und modellhaften Beteiligungsprozess rund 2.300 Wünsche aus dem Stadtteil ein, die, verdichtet als St. Pauli Code, zur Grundlage des Architekturwettbewerbs und der weiteren Planungen wurden.

Auf den aktuellen Plänen so vieles zu sehen, das hier im Stadtteil erdacht und gewünscht wurde, macht große Freude und Vorfreude. So freuen wir uns über den Verbleib vom Molotow und der Kogge auf St. Pauli, über günstige Mieten für Subkultur und Soziales, über die verschiedenen „Gesichtsausdrücke" der Gebäude, dass es an Ecken auch Eckläden geben soll und keine Verbarrikadierungen, dass das Areal keine Festung sein soll, sondern Öffnungen wie die Passage hat und dass hier mit einer Baugemeinschaft eine Wohnform entstehen soll, die bewusste Nachbarschaft und soziale Beziehungen am Wohnort fördert.

Und vor allem freuen wir uns auf die vielen öffentlichen Nutzungsmöglichkeiten. Besonders die Dächer als Orte, wo endlich auch einmal Kinder und Jugendliche mitgedacht werden, sind ein echtes Highlight. Sabine Stövesand von der Initiative Esso-Häuser: „Hier kann ein tolles neues Stück Stadt entstehen – vorausgesetzt, diese Flächen werden wirklich langfristig dem Stadtteil zugänglich gemacht.“

Wichtig ist uns außerdem, dass wir die lautstarke Stadtteil-Forderung „keine Eigentumswohnungen“ durchsetzen konnten. Zur langfristigen Absicherung dieser Errungenschaft ist allerdings die Politik gefordert, denn bisher können Aufteilungsverbote nicht über 25 Jahre hinaus in städtebaulichen Verträgen festgeschrieben werden. „Die Politik muss alle juristischen Schlupflöcher stopfen, mit denen Eigentümer die soziale Erhaltensverordnung aushebeln können.“, so Steffen Jörg (GWA St. Pauli).

Natürlich gibt es auch Dinge, die wir nicht bejubeln. So ist zum Beispiel die Fläche des Hotels im Verlauf des Planungsprozesses stetig gewachsen und erstreckt sich jetzt sogar auf das benachbarte „3-D-Haus“, welches ursprünglich für kiezaffines Gewerbe vorgesehen war. Birgit Otte (St. Pauli selber machen): Für uns war das Hotel immer so etwas wie eine Kröte, die wir schlucken müssen, um dafür Dinge zu ermöglichen, die für den Stadtteil eine echte Errungenschaft sein werden. Diese Kröte ist allerdings nach und nach immer ein Stückchen größer geworden. Ob der Stadtteil die Hotel-Kröte trotzdem schlucken kann, hängt jetzt davon ab, ob der zukünftige Hotelbetreiber die versprochene Öffnung zum Stadtteil


wirklich ernst nimmt – z.B. durch günstige Sportangebote und kostenlose Raumnutzungsmöglichkeiten. Hierfür müssen verbindliche Vereinbarungen getroffen werden, damit nicht am Ende das gesamte 3-D-Haus vollends vom Hotel vereinnahmt wird.“

Die Forderung aus dem Stadtteil nach 100 Prozent sozialem Wohnungsbau konnten wir nicht durchsetzen, und auch bei der Bindungsdauer von jetzt immerhin 25 Jahren wäre für uns noch Luft nach oben gewesen. Wir finden zwar, dass auch 60 Prozent öffentlich geförderter Wohnungsbau sich durchaus sehen lassen können – aber bei diesen 60 Prozent muss es jetzt auch bleiben! Eine Baugruppe, die einen Teil des geförderten Wohnungsbaus ausmachen soll, wird es aufgrund des Kaufpreises und der aktuell hohen Baukosten in Hamburg nicht leicht haben. Wir fordern, dass die Politik ernst macht mit ihrem Versprechen, die Baugruppe in ihrem Vorhaben mit allen Mitteln zu unterstützen. Hier darf es außerdem keine Fallbacklösung geben, in der bei Nichtzustandekommen eines Wohnprojekts stattdessen auch ein Teil teure, freifinanzierte Wohnungen gebaut wird. „Mit dem Versprechen von 60 Prozent geförderten Wohnungen auf dem Areal der ehemaligen
Esso-Häuser haben SPD und Grüne Wahlkampf auf St. Pauli gemacht, auch die Bayerische Hausbau hat sich öffentlich zu dieser Zahl bekannt. Alles, was hinter dieser Zusage zurückbleibt, wäre ein Vertrauensbruch.“, sagt Jenny Maruhn (Initiative Esso-Häuser).

„Alle, die wollen, müssen zurück können!“, das war und ist eine der wesentlichen Forderungen aus dem Stadtteil. Für die Wohnungsmieter*innen wurden hier wirklich gute und faire Lösungen gefunden, und wir sind sicher, dass diese sehr positiv aufgenommen und wesentlich zur Akzeptanz im Stadtteil beitragen werden. Aber nicht mit allen Gewerbemieter*innen, die zurück wollen, wurde bisher eine verbindliche Vereinbarung zur Rückkehr getroffen. „Die Glaubwürdigkeit des gesamten Projektes hängt auch davon ab, ob es auch für rückkehrwillige Gewerbemieter*innen eine gute und faire Lösung geben wird. Dies ist ein Stolperstein, der noch aus dem Weg geräumt werden muss.“, sagt Nabila Attar (ehemalige Wohnungsmieterin und Mitglied der Initiative Esso-Häuser).

Sehr wichtig ist für uns außerdem, dass unser Expert*innen-Team aus dem Stadtteil, die PlanBude, als Anwältin des St. Pauli Codes weiterhin in den Prozess eingebunden sein wird!

Insgesamt finden wir, die Politik und die Bayerische Hausbau hätten die Chance noch beherzter ergreifen können, dem überteuerten Wohnungs- und Immobilienmarkt Alternativen entgegen zu setzen, z.B. durch eine noch längere Mietpreisbindung im geförderten Wohnungsbau, mehr Wohnungen mit Mietpreisdämpfung, weniger Belastung für eine Baugruppe, noch mehr kiezaffines und soziales Gewerbe und weniger Hotel und insgesamt weniger Baumasse. Trotz dieser Bedenken halten wir das jetzt entwickelte Gesamtkonzept, viele seiner Details und vor allem den Entstehungsprozess für sehr besonders. Jetzt kommt es vor allem auf die langfristige und verbindliche Absicherung all der Dinge an, auf die sich der Stadtteil freuen kann – und darauf, noch vorhandene Stolpersteine aus dem Weg zu räumen.

Initiative Esso-Häuser 8. Mai 2018

 

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